Depressionsfreie Tage: Vergleich von Venlafaxin, SSRIs und Placebo
Depressionsfreie Tage sind ein gutes Messinstrument, um die Wirkung von Antidepressiva zu beurteilen.
Titel
Depression-free days as a summary measure of the temporal pattern of response and remission in the treatment of major depression: a comparison of venlafaxine, selective serotonin reuptake inhibitors, and placebo.
Autoren
Mallick R, Chen J, Entsuah AR, Schatzberg AF.
Quelle
J Clin Psychiatry. 2003 Mar;64(3):321-30
Abstract |
Fragestellung
Eignen sich «Depression-Free Days» (DFDs) als zeitliches Messinstrument für Response und Remission der Depression? Vergleich von Venlafaxin mit verschiedenen SSRIs und Placebo.
Hintergrund
Die Remission, d.h. das Erreichen der Symptomfreiheit und deren Dauer, werden selten als Endpunkt klinischer Depressionsstudien untersucht. Verschiedene Studien zeigen, dass nur ca. die Hälfte der Patienten eine dauerhafte Remission erreichen. Die Folgen sind vermehrter Bedarf medizinischer Hilfeleistungen, verminderte Lebensqualität, grösseres Risiko für Invalidität und Suizid. Das komplexe Zusammenspiel der zeitlichen Verläufe
und der einzelnen Krankheitsphasen erschwerte bisher die Anwendung zeitlicher Messinstrumente in klinischen Studien. Solche Messinstrumente wären jedoch sinnvoll, um die Therapiewirkung auf eine allfällige Remission, deren Dauer und mögliche Rückfälle zu erfassen. Die Summe von DFDs bietet sich als solches Instrument an. In der vorliegenden Arbeit wurden die DFDs auf der Grundlage einer Metaanalyse früher publizierter Studien evaluiert.
Methoden
Studiendesign und Setting
Acht randomisierte, kontrollierte, multinationale Doppelblindstudien. 2’046 Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Depression (DSM-III-R/-IV).
Vergleich von Venlafaxin (75-375 mg/Tag oder 75-225 mg/Tag ER), SSRIs (Fluoxetine 20-80 mg/Tag, Paroxetine 20-40 mg/Tag, Fluvoxamine 100-200 mg/Tag) oder Placebo. Sieben ambulante, eine stationäre Studie. Wöchentliche Evaluation mit der Hamilton-Skala (HAM-D-17).
Einschlusskriterien
Alter > 18 Jahre, schwere depressive Episode (DSM-III-R, DSM-IV) seit mind. einem Monat. Bei Studienbeginn > 20 resp. 25 Punkte auf der HAM-D-21-, resp. MADRS-Skala.
Ausschlusskriterien
Relevante somatische oder psychische Erkrankungen, bekannte Überempfindlichkeit auf die Studienmedikamente, Einnahme von Forschungssubstanzen, Antipsychotika, Antidepressiva, Anxiolytika oder Sedativa/Hypnotika vor Studienbeginn.
Erfassung der Wirksamkeit
Evaluation des HAM-D- und des CGI-S-Score in allen 8 Studien zu Beginn und an den Tagen 7, 14, 21, 28, 42 und, wenn möglich, 56. Response: Reduktion des HAM-D-Ausgangswertes um 50%.
Erfassung der Verträglichkeit
Aussagen zu unerwünschten NW, klinische Untersuchungen inkl. Vitalparameter, EKG und Labortests.
Beobachtungsdauer
8-12 Wochen, Extrapolation je nach Studiendauer auf 8 Wochen.
Resultate
Patienten
2’046 von 2’117 Patienten (96.6%) konnten in die ITT Analyse aufgenommen werden. Venlafaxingruppe: n = 851. SSRI-Gruppe: n = 749. Placebogruppe: n = 446. Zwei Drittel waren Frauen. Die Patienten der Placebogruppe hatten weniger starke depressive Symptome.
Gruppenvergleich der Endpunkte
Wegen unerwünschter Nebenwirkungen wurden 9% (n = 83) aus der Venlafaxingruppe, 7% (n = 57) aus der SSRI-Gruppe und 2% (n = 10) aus der Placebogruppe aus der Studie entlassen. Wegen fehlender Wirkung des Medikamentes wurden 33 Patienten (4%) aus der Venlafaxingruppe, 46 (6%) aus der SSRI-Gruppe und 63 (14%) aus der Placebogruppe entlassen. Gegenüber der Placebogruppe kam es in beiden Verumgruppen zu häufigeren und längerdauernden Remissionen. Der Anteil der Patienten ohne Response war in diesen Gruppen signifikant kleiner als in der Placebogruppe. Der Anteil erfolgreich behandelter Patienten war in der Venlafaxingruppe am grössten, in der Placebogruppe am geringsten. In der SSRI-Gruppe war die Response ohne Remission signifikant häufiger als in den Vergleichsgruppen.
Diskussion durch die Autoren
DFDs erweisen sich als einfaches, valides, flexibles und gut interpretierbares Messinstrument zur Unterscheidung von Wirkungslosigkeit vs. Wirkung antidepressiver Therapien. Sie erlauben die differenzierte Beurteilung der antidepressiven Wirkung auf eine partielle oder vollständige Remission und deren Dauer. Die DFD-Messung zeigte deutliche Unterschiede bei Patienten mit dauerhafter Remission im Vergleich zu anderen Gruppen (Differenz ca. 33 DFDs). Unterschiedliche statistische Konstrukte erzielten dabei eine ähnliche Aussagekraft. Die Autoren kommen zum Schluss, dass die Anwendung dieses Messinstrumentes empfehlenswert ist.
Zusammenfassender Kommentar
Grundlegende Probleme der Analyse zeitlicher Daten werden in dieser Studie über DFDs deutlich. Das Instrument als solches ist durchaus nützlich, um Unterschiede von Therapieresponse und Dauer allfälliger Remissionen festzustellen. Es werden jedoch auch einige Fragen aufgeworfen. So gehen z.B. bisherige Studien davon aus, dass ein sog. «fast-onset», also der rasche Beginn einer Remission, einen Einfluss auf den weiteren klinischen Verlauf hat. Diese Daten werden durch die vorliegende Studie in Frage gestellt, da die ungenaue Differenzierung zwischen dauerhafter und vorübergehender Remission zu einer Verfälschung der Daten führen kann. Weitere Studien werden helfen, diese offenen Fragen genauer zu beantworten.
Besprechung von med. pract. A. Yannakopoulos Salili, Psychiatrische Universitätsklinik, Zürich
J Clin Psychiatry. 2003 Mar;64(3):321-30 - R. Mallick et al
04.04.2004 - dde