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Vakzinierung bei soliden Tumoren - Strategien und Perspektiven


Die Vorstellung, dass das Immunsystem in der Lage ist, die Entstehung und den Verlauf maligner Erkrankungen zu beeinflussen, hat im vergangenen Jahrhundert wiederholt Auftrieb und Niederlagen erfahren. Paul Ehrlich stellte 1909 bereits die These auf, dass «die Zerstörung von spontan auftretenden Tumoren eine der Aufgaben des Immunsystems» sei. In den 50er Jahren postulierten Burnett und Thomas, dass das Immunsystem den Körper überwacht und Tumorzellen zerstört, noch bevor diese klinisch apparent werden («immune surveillance»). Aufgrund von Experimenten, die vermeintlich keine erhöhte Inzidenz von Tumoren bei immunkomprimierten Mäusen zeigten, hat man in den folgenden Jahrzehnten dieses Konzept zunächst verlassen. Erst wissenschaftliche Daten der letzten Jahre weisen eindrücklich auf eine wechselseitige Beziehung zwischen Immunsystem und Tumor hin: das Immunsystems spielt nicht nur eine wichtige Rolle in der Immunüberwachung, also in der Kontrolle und Eliminierung maligner Zellen, sondern nimmt auch Einfluss auf deren Immunogenität («immune editing», siehe unten [1]). Insbesondere T-Zellen sind als wichtige Effektoren bei der spezifischen Abwehr maligner Tumore identifiziert worden. Während CD8+-zytotoxische T-Zellen nach Antigenerkennung die spezifische Zerstörung Antigen-exprimierender Zellen vermitteln können, erfüllen CD4+-T-Zellen vor allem eine «Helfer-Funktion», in dem sie zur Initiierung und Verstärkung der CD8+-T-Zellantwort beitragen. Bei verschiedenen Tumoren, u.a. beim Nierenzell- und Ovarialkarzinom konnte gezeigt werden, dass die Präsenz von T-Zellinfiltraten in Tumorläsionen mit einer besseren Prognose assoziiert ist. Die in-vitro Lyse von Melanomzellen durch autologe CD8+-T-Zellen wurde erstmals Anfang der achtziger Jahre beobachtet [2]. Die Expansion Tumor-spezifischer T-Zellen gelang dabei mittels «mixed lymphocyte tumor cell cultures» (MLTC), einer Kokultur aus bestrahlten Tumorzellen und autologen T-Lymphozyten in Gegenwart von Interleukin (IL)-2.

 

Tumorantigene

Die Identifizierung von Tumorantigenen, also Antigenen, deren Expression idealerweise in normalen Geweben möglichst eingeschränkt, aber im Tumor homogen ist, hat zentrale Bedeutung in der Entwicklung spezifischer Immuntherapieverfahren bei malignen Erkrankungen [3]. Tumorspezifische T-Zelllinien, die in MLTC von zwei Melanompatienten (MZ2, SK29) etabliert werden konnten, haben Anfang der 90er Jahre die Grundlage für die Identifizierung der ersten Tumorantigene (z.B. MAGE-Genfamilie [4]) gelegt. Einen entscheidenden Beitrag in der Erfassung neuer Tumorantigene lieferte die SEREX-Technologie (Serological analysis of recombinant tumor cDNA expression libraries with autologous serum), die Tumorantigene basierend auf einer spontanen humoralen Immunantwort kloniert [5].

 

Je nach Gewebsexpression, Genfunktion oder Entstehung werden mehrere Untergruppen eingeteilt: «Cancer-Testis» (CT)-Antigene (z.B. NY-ESO-1) finden sich aufgrund ihres charakteristischen Expressionsmusters nicht auf normalem menschlichem Gewebe, von Spermatogonien des Hodens abgesehen, sondern werden von Tumoren verschiedenster Herkunft in unterschiedlicher Häufigkeit exprimiert [6]. Differenzierungsantigene (z.B. Melan-A/MART-1) sind in einem ausdifferenzierten Zelltyp und dem entsprechendem Tumortyp wie etwa in Melanozyten und im malignen Melanom exprimiert. Daneben können überexprimierte (z.B. Her-2/neu), mutierte (z.B. Ras) und virale Antigene (z.B. E7-HPV) unterschieden werden.

 

Für viele dieser Antigene konnten bereits ein oder mehrere Epitope für CD8+- und CD4+-T-Zellen definiert werden.

 

Vakzinierungsstrategien

Zahlreiche klinische Studien zur aktiven, T-Zell-basierten Immuntherapie sind in den letzten Jahren durchgeführt worden [7]. Im Falle der spezifischen Impfung kann dabei das betreffende Tumorantigen in verschiedenen Formen eingesetzt werden. Vakzinierungen mit Peptidantigenen, die vergleichsweise leicht und kostengünstig zu synthetisieren sind, wurden in einer grossen Anzahl von klinischen Phase-I/II-Studien bei Patienten mit soliden Tumoren getestet. Wiederholt konnte gezeigt werden, dass eine Peptidvakzinierung verträglich ist und eine Tumorantigen-spezifische T-Zellantwort induzieren kann.

 

Eine angemessene Immunreaktion entsteht regelmässig allerdings erst unter gleichzeitiger Applikation von Adjuvanzien, die unter anderem die Auslösung einer inflammatorischen Reaktion (z.B. QS21, IFA), die Aktivierung spezifischer T-Zellen (z.B. IL-2, IL-12) oder die verbesserte Präsentation des Antigens (z.B. GM-CSF, CpG-ODN) bewirken können. Besonders ermutigende immunologische und klinische Ergebnisse wurden nach Vakzinierung mit den Peptidantigenen des Tumorantigens NY-ESO-1 bei Patienten mit NY-ESO-1-exprimierenden Tumoren verschiedener Histologie erzielt [8].

 

Die unerwünschten Wirkungen beschränken sich auf Lokalreaktionen an den Injektionsstellen und selten Temperaturerhöhungen mit Grippe-ähnlichen Symptomen.

 

Eine seltene, aber mögliche unerwünschte Wirkung bei Vakzinierung mit melanozytären Differenzierungsantigenen ist das Auftreten von Vitiligo. Diese entsteht durch therapieinduzierte Autoimmunreaktion gegen Melanozyten. Da die T-Zellerkennung von Peptiden auf bestimmte HLA-Moleküle restringiert ist, können Peptidvakzinierungen im allgemeinen nur für Patienten mit dem gleichen HLA-Typ eingesetzt werden. Die meisten Impfungen werden mit HLA*0201-restringierten Peptiden durchgeführt, da dieser Genotyp mit einer Verbreitung von etwa 50% der häufigste der weissen, westlichen Bevölkerung ist.

 

Andere Formen von Tumorantigenen, die einerseits potentielle HLA-Klasse-I- und -II-restringierte T-Zellepitope beinhalten und andererseits bei allen Patienten unabhängig vom HLA-Typ eingesetzt werden können, sind rekombinante Tumorproteine (z.B. NY-ESO-1 Protein), oder für Tumorantigene kodierende DNA/RNA, die «nackt» oder in viralen Vektoren verpackt für die Transfektion von Antigen-präsentierenden Zellen verwendet werden [9].

 

Parallel mit der Entwicklung neuer Immuntherapieansätze werden hochempfindliche Methoden des Monitorings einer Antigen-spezifischen Immunantwort entwickelt. Gegenwärtig werden Zytotoxizitätsassays zur Messung der lytischen T-Zellfunktion, ELISPOT-Assays zur Detektion Zytokin-sezernierender T-Zellen, «CDR3 Spectrotyping» zur Analyse des T-Zellrezeptorrepertoires, und Peptid/MHC-I-Multimerkomplexe (sog. «Tetramere») angewendet. Die «Tetramer»-Technologie gestattet dabei nicht nur die direkte Darstellung und Aufreinigung Antigen-spezifischer CD8+-T-Zellen innerhalb einer polyspezifischen T-Zellpopulation im Durchflusszytometer, sondern sie kann auch mit anderen Techniken wie phänotypischen Markern und funktionellen Assays, z.B. Zytokinsekretionsassay, kombiniert werden. Damit können zusätzlich Effektorfunktionen Antigen-spezifischer T-Zellen beurteilt werden [10]. Als klinisch-immunologischer Indikator einer signifikanten Immunantwort ist die «delayed-type hypersensitivity» (DTH) Reaktion definiert, eine Immunreaktion vom verzögerten Typ, die 48 Stunden nach erneuter Antigeninjektion in ihrer Qualität und Stärke beurteilt wird und mit der Induktion spezifischer T-Zellantwort korreliert werden kann.

Tumor-Escape-Mechanismen

Unter dem «Druck» einer Tumor-spezifischen Immunreaktion - sowohl spontan oder induziert durch Vakzinierung - können komplexe Regulationsmechanismen aktiviert werden. Diese können dazu führen, dass der Tumor der Immunüberwachung entgehen kann. Verschiedene Mechanismen wurden beschrieben, wie der Verlust bzw. die Herabregulierung von Tumorantigen- und HLA-Expression im Tumor, die inadäquate Expression von Adhäsions- und kostimulatorischen Molekülen oder die Induktion aktiver immunsuppressiver Mechanismen (z.B. Zytokine, regulatorischer T-Zellen). Experimentelle Daten zeigen, dass eine gezielte Beeinflussung dieser Toleranzmechanismen möglich ist. Deren genaue Erforschung ist ein wichtiger Schritt in der Entwicklung klinisch-effektiver Tumorvakzine.

 

Fazit

  1. Die Identifizierung von immunologischen Zielstrukturen auf malignen Zellen birgt Chancen für gezielte therapeutische Vakzinierungsstrategien. Erste Studien zeigen ermutigende Ergebnisse mit klinischen Remissionen bei einzelnen Patienten, bemerkenswert langen progressionsfreien Intervallen und objektiv messbaren immunologischen Parametern.
  2. Die optimale Induktion und Aufrechterhaltung einer antitumoralen Immunantwort, z.B. Wahl des Antigens und Adjuvans, sowie die Überwindung von Toleranzmechanismen, z.B. Escape-Phänomene, sind Gegenstand aktueller klinisch-immunologischer Forschung.
  3. Die aktive Immuntherapie ist somit als experimentelle Therapieform in der Behandlung maligner Erkrankungen anzusehen, die deshalb nur im Rahmen von kontrollierten Studien durchgeführt werden sollte. Vor Einschluss in eine der an unserer Klinik laufenden Studien wird die Tumorantigenexpression im Tumorgewebe getestet. Aufgrund der Antigenpräsentation wird in einigen Therapiestudien zusätzlich eine HLA-Typisierung vorgenommen.
  4. Ein spezielles Forschungsinteresse richtet sich auf die Tumore des Urogenitalsystems inklusive Prostatakarzinom, die Tumore der Thoraxorgane (Bronchuskarzinom, Mesotheliom), gynäkologische Tumore, speziell des Ovarialkarzinoms, und das Multiple Myelom.

 

Dr. med. Alfred Zippelius, Klinik und Poliklinik für Onkologie, USZ, Zürich


Referenzen
1. Dunn, G. P., Old, L. J., and Schreiber, R. D. The immunobiology of cancer immunosurveillance and immunoediting. Immunity, 21: 137-148, 2004.
2. Knuth, A., Danowski, B., Oettgen, H. F., and Old, L. J. T-cell-mediated cytotoxicity against autologous malignant melanoma: analysis with interleukin 2-dependent T-cell cultures. Proc Natl Acad Sci U S A, 81: 3511-3515, 1984.
3. Jager, D., Zippelius, A., and Knuth, A. [Identification of tumor antigens: strategies and perspectives]. Schweiz Rundsch Med Prax, 93: 1584-1588, 2004.
4. van der Bruggen, P., Traversari, C., Chomez, P., Lurquin, C., De Plaen, E., Van den Eynde, B., Knuth, A., and Boon, T. A gene encoding an antigen recognized by cytolytic T lymphocytes on a human melanoma. Science, 254: 1643-1647., 1991.
5. Sahin, U., Tureci, O., Schmitt, H., Cochlovius, B., Johannes, T., Schmits, R., Stenner, F., Luo, G., Schobert, I., and Pfreundschuh, M. Human neoplasms elicit multiple specific immune responses in the autologous host. Proc Natl Acad Sci U S A, 92: 11810-11813, 1995.
6. Simpson, A. J., Caballero, O. L., Jungbluth, A., Chen, Y. T., and Old, L. J. Cancer/testis antigens, gametogenesis and cancer. Nat Rev Cancer, 5: 615-625, 2005.
7. Jager, E., Jager, D., and Knuth, A. Antigen-specific immunotherapy and cancer vaccines. Int J Cancer, 106: 817-820, 2003.
8. Jager, E., Gnjatic, S., Nagata, Y., Stockert, E., Jager, D., Karbach, J., Neumann, A., Rieckenberg, J., Chen, Y. T., Ritter, G., Hoffman, E., Arand, M., Old, L. J., and Knuth, A. Induction of primary NY-ESO-1 immunity: CD8+ T lymphocyte and antibody responses in peptide-vaccinated patients with NY-ESO-1+ cancers. Proc Natl Acad Sci U S A, 97: 12198-12203, 2000.
9. Jager, D. and Knuth, A. Antibodies and vaccines-hope or illusion? Breast, 14: 631-635, 2005.
10. Zippelius, A., Batard, P., Rubio-Godoy, V., Bioley, G., Lienard, D., Lejeune, F., Rimoldi, D., Guillaume, P., Meidenbauer, N., Mackensen, A., Rufer, N., Lubenow, N., Speiser, D., Cerottini, J. C., Romero, P., and Pittet, M. J. Effector function of human tumor-specific CD8 T cells in melanoma lesions: a state of local functional tolerance. Cancer Res, 64: 2865-2873, 2004.

 

 
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19.01.2006 - ssc
 



 
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