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Nicht krank ist nicht gesund

Sich krank fühlen und krank sein sind bekanntlich zwei Paar Stiefel. Die „Droge Arzt“ ist dabei nicht nur heilsam, sondern kann auch ein Pathogen von „Non-diseases“ sein.

U. Fischer
 

Kommt Ihnen diese Anamnese bekannt vor? Ein Patient mit Müdigkeit und Konzentrationsstörungen sucht seinen Hausarzt auf. Ausgedehnte Abklärungen ergeben keine eindeutigen Hinweise auf die Ursache; als einziger pathologischer Laborparameter findet man eine positive Borrelienserologie. Der Patient kann sich nicht sicher an ein Erythema chronicum migrans erinnern. Der Hausarzt stellt die Verdachtsdiagnose einer Neuroborreliose und es erfolgt die Zuweisung an den Neurologen. Die Lumbalpunktion inklusive Liquor/Serum-Index für Borrelien fällt negativ aus. Weitere neurologische Abklärungen sind unauffällig. Trotzdem wird eine empirische antibiotische Therapie durchgeführt, die Symptome des Patienten persistieren aber weiterhin über Monate.

 

Woran leidet der Patienten? An einem „Post-Lyme Disease Syndrome (PLDS)“, einem in der Fachwelt umstrittenen, da nicht klar definierten und mit keinem Parameter messbaren, Krankheitsbild?

Ob das PLDS existiert, kann weder bewiesen noch widerlegt werden. Klar ist, dass einige Patienten nach einer gut dokumentierten Borreliose, insbesondere nach einer Neuroborreliose, an Müdigkeit, persistierenden muskuloskeletalen Schmerzen sowie neurokognitiven Symptomen leiden. Diese Symptome aber voreilig einem Syndrom zuzuordnen ist nicht unproblematisch. Nach den verschiedensten Traumata und Infektionen gibt es lang andauernde, diffuse Schmerzsyndrome mit neurokognitiver Beeinträchtigung und verminderter Belastbarkeit. Dies ist - insbesondere bei der Borreliose - jedoch nicht als Zeichen einer floriden oder persistierenden Infektion zu interpretieren. Warum sollen nur Traumata und nicht auch Infekte „falsch verarbeitet“ werden können? Bei chronischen Myalgien und Arthralgien führt eine positive Borrelienserologie nicht selten zu einer potentiell gefährlichen, oft sogar wiederholten Antibiotikatherapie. Gerade in Endemiegebieten weisen bis 20% der gesunden Bevölkerung eine positive Borrelienserologie auf und Patienten mit durchgemachter (klinisch symptomatischer) Borreliose behalten nach erfolgreicher Therapie über Jahre hinweg eine Seronarbe mit wechselnd hohen Titern, auch für IgM-Antikörper.

 

Clifton K. Meador schrieb 1965 im Artikel „The art and science of nondisease“, dass es sinnvoller sei, einem Patienten, dessen Verdachtsdiagnose sich im Laufe der Abklärungen nicht erhärte, die Abwesenheit einer Krankheit zu bescheinigen (in unserem Fall eine Nicht-Neuroborreliose), als ihm eine „nicht-existierende Krankheiten“ zuzuordnen [1].

 

Nicht-extistierende Krankheiten? Was ist eine Krankheit? Diese Frage wird kontrovers diskutiert: Thomas Sydenham (1624-1689) war der Überzeugung, dass sich Krankheiten wie Pflanzen klassifizieren lassen, unabhängig vom Betrachter existieren und von diesem lediglich erkannt werden müssen. Andere hingegen vertreten die Meinung, dass die Gesellschaft gewisse Zustände als Krankheit definiert und Krankheiten neu erfindet. Ivan Illich soll geschrieben haben: „What is sickness in one might be chromosomal abnormality, crime, holiness, or sin in another [2].“ Grosse Lehrbücher wie „The Oxford Textbook of Medicine“ hüten sich daher wohlweislich vor einer Krankheitsdefinition.

 

Für die Medizin als Wissenschaft ist die Zweiteilung in “gesund” und “krank” von begrenzter Geltung, für die Medizin als Handlungssystem ist eine klare Abgrenzung unerlässlich. Clifton K. Meador hat hinsichtlich einer handlungsfähigen Medizin mit seiner Behauptung, "besser die Abwesenheit einer Krankheit zu bescheinigen, als nicht fassbare Erkrankungen zu erfinden", möglicherweise Recht. Und: oft ist eine (fragliche) Diagnose für die Genesung wenig förderlich bzw. Grund zur Chronifizierung.

 

Wie behandelt man aber „Nicht-Krankheiten“? Clifton K. Meador meint: „Treatment is always easy if the diagnosis is correct and nondisease clearly established. Stated simply, the treatment for nondisease is never the treatment indicated for the corresponding entity. In this statement lies the ultimate value of the science of nondisease“.

 

Eine kontrollierte Studie hat mittlerweilen gezeigt, dass bei Patienten mit persistierenden Symptomen nach einer korrekt behandelten Borrelieninfektion eine zusätzliche 90-tägige antibiotische Therapie nicht besser ist als eine Placebotherapie [3,4]. Daher sollte in diesen Fällen eine antibiotische Behandlung unterbleiben. Die Ähnlichkeit der Symptome mit denen der Fibromyalgie oder auch des „Chronic fatigue Syndroms“ legen eine analoge Therapie nahe.

 

Dr. Urs Fischer, Neurologische Klinik, Inselspital Bern

 

 

Herzlichen Dank an Prof. M. Sturzenegger, Dr. W. ZGraggen, P. Fischer und I. Costantea für die kritischen Bemerkungen.

 

1. Clifton K. Meador, „The art and science of nondisease“, The New England Journal of Medicine, Jan 14, 1965

2. Smith R. In search of „non-disease“, BMJ. 2002;324:883-5

3. Klempner MS et al., Two controlled trials of antibiotic treatment in patients with persistent symptoms and a history of Lyme disease. N Engl J Med. 2001;345:85-92

4. Krupp et al., Study and treatment of post Lyme disease (STOP-LD): a randomized double masked clinical trial. Neurology. 2003;60:1923-30

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30.01.2007 - dde

 
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